"Dank IT waren wir besser vorbereitet"
Paul Wells, General Manager bei ChannelPorts in Dover, schildert die britische Perspektive auf den Brexit und spricht über die kommenden Herausforderungen.
Paul Wells, General Manager bei ChannelPorts in Dover, schildert die britische Perspektive auf den Brexit und spricht über die kommenden Herausforderungen.
Paul Wells: Der 1. Januar war wahrscheinlich der einfachste Tag. Die Frage ist, wie sahen die sechs Monate vor dem 1. Januar 2021 aus? In dieser Zeit waren wir vor allem mit Hochdruck damit beschäftigt, unsere Mitarbeiter*innen zu schulen und für den Brexit fit zu machen. Gleichzeitig mussten wir übrigens umziehen, weil die Border Force, verantwortlich für die Zollkontrollen, unsere Büros übernahm.
Paul Wells: … genau. In Hythe, und direkt am Eurotunnel haben wir eine Service-Station mit Parkplätzen für LKWs. Die neuen Büros waren noch im Bau, das heißt, wir sind zunächst in einige Pförtnerhäuschen gezogen. Als der erste Januar kam, war es erst einmal ziemlich ruhig. Es wurde wenig angemeldet, vielleicht haben die Leute noch gezögert. Ein möglicher Grund ist auch, dass aufgrund des Wochenendes der 4. Januar für viele der erste Arbeitstag war.
“Wir sagten: Ihr müsst euch vorbereiten, der Brexit wird passieren.“
Paul Wells: Allerdings. Die ersten Tage waren extrem. Normalerweise hatten wir ungefähr 700 Anrufe am Tag. Auf einmal waren es mehr als 3.000. Viele schien der Brexit zu überraschen. Dabei hatten wir und die britische Regierung mehrfach gewarnt: Das wird passieren! Vor allem kleinere Unternehmen traf es hart …
Paul Wells: Wir haben mit dem Senior-Team die ersten vier Monate lang im Durchschnitt sicher 90 Stunden die Woche gearbeitet. Und wir waren gut vorbereitet, auch durch unsere IT-Integration. Ich habe von Leuten gehört, die Ende 2021 immer noch Anmeldungen für Waren durchgeführt haben, die im Januar 2021 angekommen sind. Was möglich war, weil man die Importe verzögert bearbeiten konnte. Bei Exporten wurde kontrolliert, bei Importen wurde am Anfang ein Auge zugedrückt.
Seit 1974 ist ChannelPorts zuverlässiger Partner für die Verzollung von Waren aus und nach Großbritannien und hat damit eine langjährige Erfahrung aus der Vor- und Nach-EU-Zeit des Vereinigten Königreichs. Der Customs Management-Dienstleister ist spezialisiert auf „Roll on - Roll of,“-Häfen und hilft seit dem Brexit vor allem Speditionen und Transportunternehmen, Waren aus Großbritannien über den Ärmelkanal nach Europa zu bekommen. Darüber hinaus betreibt ChannelPorts direkt am Eurotunnel einen gewerblichen LKW-Rastplatz um zu gewährleisten, was die Philosophie des Unternehmens ausmacht: nahtlosen Rundum-Service.
„Wir waren dank unserer IT-Integration besser vorbereitet.“
Paul Wells: … was es auch war. In Großbritannien gab es außerdem kein Testsystem, mit dem unsere Angestellten arbeiten konnten. Das bedeutete für uns, Anpassungen im laufenden Betrieb vorzunehmen. Außerdem gab es eine „Jagd" nach Talenten. Die Unternehmen, die zu wenige ausgebildete Mitarbeitende hatten, versuchten, geschulte Kräfte abzuwerben, zum Beispiel mit extrem hohen Gehältern. Es war ein bisschen Wild-West-Stimmung.
Paul Wells: Vor dem Brexit war unsere Branche in Großbritannien eine Nische. Nur 5 Prozent aller LKWs, die den Eurotunnel durchquert haben, waren ein Fall für den Zoll. Das hat sich natürlich geändert. Wir bilden unsere Mitarbeiter*innen immer selbst aus. Auch die 30 neuen, die wir für den Brexit eingestellt haben. Unsere Senior Manager*innen übernehmen die Schulung und wir berücksichtigen dabei die individuellen Stärken der neuen Mitarbeitenden.
„All das Zollwissen war verschwunden.“
Paul Wells: Es waren vor allem Speditionen und Transportunternehmen, die eine große Herausforderung darstellten. Die wurden praktisch über Nacht zu unseren größten Kund*innen, gleichzeitig fanden sie sich selbst in einer völlig neuen Situation. Seit 1993 waren sie es gewöhnt, in Europa Waren frei bewegen zu können, ohne etwas tun zu müssen. Und in unserer Branche gibt es nicht viele, die die Zeiten vor 1993 noch erlebt hatten. Das ganze Zollwissen war verschwunden. Stattdessen hatten die Leute einfach ein CMR-Transportdokument ausgefüllt, die Ware gecheckt und den LKW durch den Eurotunnel geschickt. Sie wussten nicht, was ein Zollaufschubkonto ist, oder eine EORI-Nummer, oder ob und wann es möglich ist, die Einfuhrumsatzsteuer zu verrechnen.
Paul Wells: Genau. Auf einmal war es genauso aufwändig, Waren durch den Eurotunnel zu fahren, wie sie aus den USA oder Australien zu importieren, und natürlich war das ein enormer Mehraufwand.
Paul Wells: Sie hatten sicher mit die steilste Lernkurve. Generell war eines der größten Probleme das Thema Warenursprung und Präferenzen. Zum Beispiel bei Waren, die aus der Türkei in die EU und von dort aus nach Großbritannien kommen. Die Leute waren es gewohnt, dass diese Waren gemäß des Präferenzursprungs zollbegünstigt waren. Auf einmal wurden diese Waren, wenn sie zum Beispiel nach Deutschland importiert, einfuhrverzollt und vor dem Weiterversand nach Großbritannien ohne Zolllager zwischengelagert wurden, nichtpräferenziell. Und Importeure mussten zweimal Zölle bezahlen. Das Gleiche gilt natürlich für Japan und andere große Märkte.
In einer Interviewserie stellen wir Ihnen unsere Zollbroker rund um den Globus vor und berichten von ihren täglichen Herausforderungen mit dem Zoll.
Einige sind Generalisten, andere haben sich auf bestimmte Güter spezialisiert aber alle von ihnen sind absolute Expert*innen für ihr Land bzw. ihre Länder. Sie sind Teil des AEB Customs Broker Network. In diesem finden Unternehmen ganz unkompliziert erfahrene und zuverlässige Zollbroker.
„Wir sehen keine 13.000 LKWs mehr den Eurotunnel durchqueren.“
Paul Wells: Und das bedeutet natürlich, dass Importe nach Großbritannien noch teurer werden, weil die Leerfahrt mitbezahlt werden muss. Außerdem haben viele größere Unternehmen ihre Vertretungen in Großbritannien geschlossen und in die EU verlegt. Das macht sich zum Beispiel bei Autoteilen bemerkbar, die einen großen Teil des Warenverkehrs ausmachten. Im Vorfeld des Brexits hat die britische Regierung mit mehr als 200 Millionen Zollanmeldungen im Jahr gerechnet – laut neuesten Zahlen sind es lediglich 70 Millionen. Das ist ein enormer Unterschied, und wenn man die großen Unternehmen abzieht, bleibt da nicht mehr viel.
Paul Wells: Das Target Operating Model, genannt TOM, soll Ende 2023 Zollerleichterungen bringen: Die Kontrollen sollen für einige Güter entfallen bzw. die Exporte und Importe sollen vereinfacht werden. Denn momentan sind gar nicht alle Kontrollen in Kraft, das wäre schlicht nicht durchführbar.
Paul Wells: Momentan beschäftigen wir uns vor allem mit CDS ...
Paul Wells: ... und dem neuen digitalen Zollsystem in Großbritannien, das deutlich mehr Angaben für die Verzollung benötigt. Unser Fokus lag vor allem auf der Schulung unserer Mitarbeiter*innen und der Anbindung der IT. Es war uns wichtig, bei CDS rechtzeitig vorbereitet zu sein. Außerdem schauen wir uns die weiteren Entwicklungen an. Neben dem TOM plant die britische Regierung, bis 2025 das "Single Trade Window" einzuführen.
„Für das Single Trade Window brauchen wir eine bessere Zusammenarbeit mit der EU.“
Paul Wells: … dadurch, dass Daten mit mehreren Behörden geteilt werden. Das Ziel: Weniger Dateneingabe in verschiedene Systeme. Damit sollen Waren einfacher über die Grenzen gelangen, gleichzeitig soll das System sicherer werden. Für die Realisierung ist Blockchain im Gespräch.
Paul Wells: Das würde die Registrierungen vereinfachen. Für große Transportunternehmen wäre so ein System sicher eine Erleichterung, zum Beispiel mit einer Flotte von 100 LKWs. Für die ist es praktisch, um den Status jeder Lieferung zu verfolgen. Die können sich auch das technische Equipment leisten. Bei einer kleinen Spedition mit fünf Fahrzeugen bin ich mir nicht so sicher. Außerdem sprechen wir über ein rein britisches Gesetz. Das heißt ohne eine gute Zusammenarbeit mit der EU muss das alte System in Kraft bleiben. 2025 werden wir mehr wissen, aber der Weg dahin ist noch ziemlich lang.
Paul Wells: Wir versuchen natürlich, Exporteure und Importeure dazu zu bewegen, digitaler und IT-basierter zu arbeiten – um mit dem gleichen Personal noch mehr zu schaffen und natürlich auch, um günstigere Preise anzubieten. Aber Kund*innen dazu zu bewegen ist schwierig; die meisten wollen einfach nur, dass alles so bleibt wie es war, vor allem nach der großen Herausforderung des Brexits. Sie sagen es läuft, auch wenn es besser laufen könnte. Es hat in Unternehmen noch zu wenig Priorität. Es gibt große Unternehmen, die immer noch Mehrwertsteuer in Großbritannien bezahlen, obwohl sie das Postponed VAT Accounting nutzen könnten …
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