Tarifieren bei Otto: von Excel zur KI
Das OTTO-Sortiment umfasst nahezu den kompletten Zolltarif. Beim Tarifieren hilft Künstliche Intelligenz. Ist der EZT dafür nicht viel zu komplex? Wir haben das Zoll-Team von OTTO gefragt.
Das OTTO-Sortiment umfasst nahezu den kompletten Zolltarif. Beim Tarifieren hilft Künstliche Intelligenz. Ist der EZT dafür nicht viel zu komplex? Wir haben das Zoll-Team von OTTO gefragt.
Für eine Automatisierung mit Künstlicher Intelligenz ist der EZT doch viel zu komplex! Wenn es um unsere KI-Lösung und Machine Learning beim Tarifieren geht, erhalten wir auch Resonanz wie diese. Wie groß war die Skepsis bei OTTO?
OTTO: Gar nicht groß. OTTO wächst, wandelt sich zum Marktplatz und investiert bewusst in die IT. Überrascht hat allenfalls, ausgerechnet im Zoll-Bereich auf eine KI-Lösung zu treffen. Mit ein paar Erklärungen rund ums Tarifieren war aber allen klar: Dieser Prozess bietet sich für eine Automatisierung geradezu an. Die Wareneinreihung erfordert grundsätzlich viel Fachwissen. Gleichzeitig handelt es sich abstrakt betrachtet um einen Prozess, in dem Artikeln anhand bestimmter Merkmale und Kriterien eine Nummer zugeordnet wird. Wir haben bereits sehr viele Informationen über unser Sortiment in den Quellsystemen. Mit Hilfe von KI können wir alles zusammenbringen und skalieren.
Welche Vision verfolgt OTTO?
OTTO: Wir möchten die Tarifierung beschleunigen und so weit wie möglich automatisieren, dabei aber weiterhin präzise und korrekte Ergebnisse erzielen und die Compliance-Anforderungen einhalten. Unser Ziel ist, mindestens 80 Prozent der Import-Artikel und mehr als 90 Prozent der Intrastat-Artikel ohne manuellen Aufwand in den Zolltarif einzureihen. Dafür setzen wir neben statistischen Verfahren auf sogenannte Smart Rules, die wir selbst definieren.
Beim Tarifieren der Import-Artikel kommt Machine Learning schon seit März 2020 zum Einsatz. Wie sind die Erfahrungen?
OTTO: Wir analysieren die Trefferquoten mittlerweile auf Wochenebene. In den Automatisierungsdaten spiegelt sich unser Bestellzyklus wider. Standard T-Shirts lassen sich eben einfacher automatisiert tarifieren als eine modische Bluse mit verschiedenen Materialien. Grundsätzlich gilt: Je besser die Lerndaten, desto höher die Quote. Im Schnitt tarifieren wir bereits 40 Prozent der Artikel automatisch. In manchen Wochen sind es bis zu 80 Prozent.
Bisher setzt OTTO auf maschinelles Lernen, das Muster erkennt und eigenständig immer bessere Lösungen vorschlägt. Es laufen bereits Tests mit Deep Learning, das auf Basis unstrukturierter Daten selbständig Bewertungen durchführt. Zahlt sich das aus?
OTTO: Erste Tests zeigen eine mögliche weitere Verbesserung. Es kommt aber auch hier auf richtigen Lerndaten an. Gerade bei den Intrastat-Artikeln haben wir noch Arbeit vor uns: Wir müssen die Qualität der Grunddaten weiter verbessern. Für die Zukunft setzen wir auf einen Mix aus Machine Learning in Form einer Mustererkennung, Deep Learning und Smart Rules. Im nächsten Schritt nehmen wir die warenbezogene Exportkontrolle in Angriff. Wir möchten Unterlagencodierungen automatisiert ermitteln, zentral speichern und anderen Konzernunternehmen zur Verfügung stellen.
Was sind auf dem Weg dorthin die größten Herausforderungen?
OTTO: Gerade in der aktuellen Transformation werden viele unserer IT-Systeme ersetzt oder neu entwickelt. Wir können nicht immer warten, bis Altsysteme abgelöst sind. Es kostet viel Zeit, die Daten unter diesen Bedingungen anschlussfähig zu halten. Aber nur so konnten wir schnell live gehen. Dabei haben wir auch gelernt, wie die IT denkt und arbeitet. Eine unserer komplexesten Aufgaben ist es, Einkaufsdaten und Zolldaten zusammenbringen – die wichtigsten Datenfelder aus den Zolltarifen herauszusuchen und verarbeitbar zu machen. Der Berg war hoch, aber mittlerweile haben wir ihn überschritten.
In unserem Podcast "Freier Verkehr" spricht Matthias Lulei über Datenqualität und künstliche Intelligenz.
Wie hat OTTO die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dabei mitgenommen?
OTTO: Ihre Expertise ist weiterhin entscheidend, aber die Rollen haben sich verändert. Wir wollten nicht einfach ein neues Tool implementieren und sagen: „Damit arbeitet ihr jetzt.“ Statt eines Projektleiters mit wenig fachlichem Bezug haben diejenigen das Projekt mitgestaltet und ihr Wissen eingebracht, die später mit den Ergebnissen arbeiten – und die sich mit der Tarifierung auskennen. Das hat sowohl die Kolleginnen und Kollegen als auch das Projekt selbst fachlich nach vorne gebracht.
Diese Empfehlungen geben die Verantwortlichen von OTTO anderen Unternehmen auf den Weg, die vor ähnlichen Herausforderungen stehen.
Die Tarifierung zu automatisieren, setzt einen langen Atem voraus. Deshalb ist es wichtig, machbare Teilziele definieren. Für regelmäßige Erfolgserlebnisse sorgt ein agiles Vorgehen mit Zwischensprints.
Das im Fachbereich erstellte Pflichtenheft, das die IT mehr oder weniger isoliert umsetzt, gehört in die Vergangenheit. Für eine optimale Zusammenarbeit zwischen Zoll-Team und IT sorgt eine Product Ownerin aus dem Fachbereich.